Fotos: Jana Beyer

Hexenjagd - oder Jagd der Hexen?

Jeder kennt sie, die Sagen über die Hexen, die im Harz ihr Unwesen getrieben haben sollen. Schaurig schöne Geschichten werden da oft erzählt - von ihren Ritualen, von ihren Tänzen und ihren Flügen auf ihren Besen. Märchenhaft schön liest sich das alles und ist es letztendlich auch, weil die Handlung einfach den Phantasievorstellungen unserer Vorfahren entsprang. Arthur Miller allerdings schrieb 1953 sein Drama Hexenjagd in Anlehnung an eine wahre Begebenheit und nimmt die Zuschauer mit ins Jahr 1692. Über dem Stück schwebt die ganze Zeit das Damoklesschwert der Denunziation und deren schlimme Folgen. Denunziation ist ja bekanntlich ein probates Mittel, um sich aus selbstverschuldeten unangenehmen Lagen zu befreien, man benötigt dafür lediglich menschliche Schwäche, Kleingeistigkeit, Angst und ein gerüttelt Maß an Kaltblütigkeit, dass man es erträgt, rechtschaffene Menschen ins Unglück zu stürzen. Eine Lüge kann nicht zur Wahrheit werden, aber, wenn sie das Machtpotential hat, kann sie die Wahrhaften vernichten. Somit ist die Denunziation eine wichtige Säule in Diktaturen jeglicher Art. Arthur Millers Stück ist dadurch zeitlos und somit beängstigend aktuell. Vor dem anspruchsvollen Hintergrund des Dramas stellte sich schon die Frage, wie würden unsere Schauspielerinnen und Schauspieler diese zum Teil mental sehr extremen Rollen ausfüllen, wie würden sie ihnen ein Gesicht geben? Nun, um es vorab in einem Satz zu formulieren: Die Premierenbesucher erlebten einen Abend der absoluten Schauspielkunst. Wenn man es einmal wagte, die Augen kurz von der Bühne zu nehmen, was schwer genug fiel, dann sah man im Publikum nichts als gefesselte Spannung und innere Erregtheit. Aber der Reihe nach.

Schon zu Beginn wurden die Zuschauer vom Bühnenbild in eine seltsame Erwartungshaltung versetzt. Ein dezent beleuchtetes Kreuz auf dem dunklen Vorhang. Ein Tanz, den man nur hören konnte. Die schwarze Messe hatte begonnen und nahm immer mehr Fahrt auf. Unsere jungen Schauspieler identifizierten sich mit ihren Rollen, spielten leidenschaftlich und authentisch, wahnsinnig und verzweifelt und einige von ihnen im wahrsten Sinne um ihr Leben. Die Stärke des Ensembles machte die Stärke der Aufführung aus und dennoch ist es immer so, dass es große Hauptrollen und kleinere Hauptrollen gibt, dass der eine Part den Verlauf des Stückes mehr beeinflusst als der andere. Deshalb sei es gestattet, dass einige Darstellerinnen und Darsteller besonders erwähnt und gewürdigt werden.  

Abigail Williams spielte eine egozentrische und abgebrühte Rolle. Machtbesessen manipulierte sie bis zur Hysterie, immer darauf bedacht, Schaden von sich abzuwenden und anderen ebendiesen zuzufügen. Dass die tolle Schauspielerin in dieser Rolle mit Nachnamen ausgerechnet Zahm heißt, mag im Nachhinein ein wenig Heiterkeit auslösen, während der Aufführung wäre einem jedoch jedes Lächeln auf der Seele gefroren. Herzlichen Glückwunsch, Antonia Zahm, zu dieser - in des Wortes wahrstem Sinne - Wahnsinnleistung.

John Proctor wurde dargestellt von Henning Bertram. Immer darum bemüht einen Spagat zwischen Anständigkeit und Aufbegehren zu schaffen, verlieh er der Rolle etwas Menschliches, weil er Stärken und Schwächen so überzeugend miteinander kommunizieren ließ. Äußerst beeindruckend, wie er seine verzweifelte Ausweglosigkeit vor Gericht darstellte. Was für ein Glück, dass Frau Fischer-Trumpler Henning überzeugen konnte, diese Rolle zu übernehmen.

Nastasja Rauch beeindruckte zutiefst als Indianerin Tituba. Ihre facettenreiche Spielleidenschaft nötigte schon in früheren Aufführungen und erst recht am Donnerstagabend Bewunderung und Hochachtung gleichermaßen ab.

Glaubhaft und einfach nur selbstverständlich schlicht gab Vanessa Hartmann der Elisabeth Proctor nicht nur ein Gesicht, sondern ließ dem Publikum gar keine andere Möglichkeit, als diese rechtschaffende und gottesfürchtige Frau in sein Herz zu schließen, um sie besorgt zu sein.

Laura-Sophie Pape durchlebte als Marry Warren ein Wechselbad der Gefühle.

Ganz toll, wie sie das mit einer wunderbaren Gestik und einer wohldosierten und dadurch aber empfindungsreichen Körpersprache dem Zuschauer vermittelte und ihm somit Zutritt in ihre Empfindungswelt gewährte.

Unbedingt erwähnt werden müssen noch Lara Hecke und Tobias Linke. Sie verkörperten Rebecca Nurse und Giles Corey, die beiden Weisen des Ortes. Was für ein souveränes Spiel, was für eine großartige Maske.

Aber auch den anderen, die jetzt nicht namentlich erwähnt worden sind, möchte ich meinen großen Respekt und meine tiefe Dankbarkeit für diesen großen Theaterabend aussprechen. Sie waren alle wichtige Steine, die durch ihr Spiel dem Ganzen zum eindrucksvollen Gesamtbild verhalfen. Unsere Theatergruppe zelebrierte Schauspielkunst. Tief bewegt und ergriffen erkannte jeder im Parkett oder auf den Rängen: Das Ende konnte keine Lösung sein. Was also blieb, ist der dunkle Nachhall einer genial erschütternden Darbietung, die das Publikum sprachlos in die eisige Nacht entließ.

K. Reiter